Erfahrungen einer Krimiautorin mit öffentlichen Lesungen

Eine winzige Prise Gift
(aktualisiert im Dezember 2018)

Ich bekenne: Ich lese gern. Einmal im Stillen, ganz für mich - damit verbringe ich einen Großteil meiner Zeit. Ebenso gern, wenn auch nicht ganz so oft, lese ich meine eigenen Texte laut vor einem Publikum. Dabei bemühe ich mich, pointiert vorzutragen, die Stimme zu modellieren und mal laut, mal leise klingen zu lassen. Dialoge präsentiere ich in unterschiedlichen Tonlagen und inszeniere auf lebendige Weise meine Geschichten.

Ich bekenne weiterhin: Ich genieße es, wenn hundert Augenpaare gebannt auf mich gerichtet sind, wenn es im Raum so leise ist, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, wenn die Leute an den richtigen Stellen lachen und ihnen an anderen Stellen der Atem stockt, dass sie unbedingt wissen möchten, wie es jetzt weitergeht. Wenn ich, angefeuert durch die Reaktionen des Publikums, zur Hochform auflaufe und der Applaus am Ende lang anhaltend ist, ich im Anschluss viele Bücher signieren darf und die strahlende Veranstalterin mir zum Dank für den gelungenen Abend einen Blumenstrauß überreicht, wenn danach noch interessante Gespräche entstehen – dann habe ich das beglückende Gefühl, meine Sache gut gemacht zu haben …

Doch, solche Abende gibt es durchaus, aber jede Lesung ist anders, wie jedes Publikum ein anderes ist. Seit 1998, also seit dem Erscheinen meines ersten Romans „Mördergrube“ bei Reclam Leipzig halte ich Lesungen.

Bevor ich das erste Mal in der Öffentlichkeit las, habe ich lange geübt. Lesen kann zwar jeder, aber laut und einigermaßen fehlerfrei vor einem Publikum lesen, und dieses zu fesseln, das ist eine Kunstform, die einem nicht in den Schoß fällt.

Die Presse bemerkte damals bei einer meiner ersten Lesungen: „Recht locker setzt Keiser sich hin, vor die restlos geschlossenen Reihen des Publikums … und beginnt flüssig, moderat und schnell mit ihrer Lesung. Und die Art, mit der sie die  Gäste zu fesseln weiß, hat plötzlich doch nicht soviel zu tun mit der schwarzen Magie, die bei vergleichbaren Publikationen schier aus den Zeilen quillt.“ Weiterhin wurde mir bestätigt, dass ich bei den Zuhörern die Imaginatioskraft wecke. Diese Beurteilung empfand ich als großes Kompliment, das mich beflügelte.

Lesungen machen einen Autor oder eine Autorin bekannter, sie sind nicht zu unterschätzende marketingtechnische Möglichkeiten, ein neues Buch zu bewerben. Es gibt Veranstalter, die bewerben eine Lesung profimäßig: Da werden Anzeigen im Vorfeld geschaltet, die Presse wird kontaktiert, Plakate und Flyer weisen auf das Event hin. Wenn man Glück hat, wie im vorliegenden Fall, ist die Lesung dann auch ausverkauft. Am Abend selbst wurde ein Kellergewölbe im Haus der Buchhandlung krimimäßig mit Kerzen in schummrige Beleuchtung getaucht, meine Romane lagen stapelweise zum Verkauf bereit. In der Pause gab es Getränke und einen kleinen Snack – und am Ende durfte ich viele Bücher signieren, die Leute bedankten sich für die interessante Lesung, es blieb Zeit für Gespräche – und ich war glücklich und zufrieden, auch darüber, dass sich meine Empfindung mit der des Publikums deckte. So geschehen vor noch nicht allzu langer Zeit in der Buchhandlung „ErLesenes“ in Vallendar bei Koblenz.

Und dann gibt es auch diese Variante: Ich war zu einer Weinlesung in Freyburg an der Unstrut eingeladen, einer Stadt in Thüringen, in der die Sektkellerei „Rotkäppchen“ ihren Sitz hat und wo einst Turnvater Jahn die Jugend zu körperlicher Ertüchtigung anhielt. Nach einer viereinhalbstündigen Autofahrt war ich pünktlich vor Ort. Die Weinkönigin war eingeladen, ein örtlicher Winzer sollte Wein ausschenken, der Veranstaltungsraum war ansprechend dekoriert, Pressevertreter und Fotografen waren da - doch auf das Publikum warteten wir vergeblich. Niemand kam. Nicht ein einziger Zuhörer. Man entschuldigte sich, dass zeitgleich andere Veranstaltungen stattfänden, offenbar seien alle Leute dort hingegangen, aber so richtig erklären könne man das nicht … Aber: Das machte nichts. Wir setzten uns zusammen – ein kleines Publikum hatte ich ja – und ich gab sozusagen eine Privatvorstellung. Ich las mit Freude, wie bei jeder anderen Veranstaltung auch. Der Pressebericht, der in der örtlichen Zeitung erschien, erweckte den Eindruck, dass es sich um eine ganz besondere Veranstaltung gehandelt hatte. Dass kein Besucher kam, war mit keinem Wort vermerkt – aber muss man denn immer alles sagen? Manchmal ist Schweigen Gold ...

Ich mag Lesungen in Kombination mit Musik oder einem Event. Mit dem Gitarristen und Manfred Pohlmann trete ich sehr gerne auf, entweder in Kombination mit der Premiere eines neuen Buches oder mit unserem Programm "Iatlienische Momente". Bei einem Krimi-Dinner ist es oft interessant, wie kreativ die Gestalter der Speisekarte sein können.  Passend zum Krimi gibt es neben der obligatorischen „Henkersmahlzeit“ ein Steak – „das jähe Ende eines Rindviehs“. Und beim Dessert heißt es: „der letzte Bissen, der Ihnen garantiert nicht im Halse stecken bleibt“. Oder wie wär´s mit einem kleinen Liebestrank zum Entree – mit einer winzigen Prise Gift?

Wer Krimis liest, muss Spaß verstehen. Wer Krimiautoren zuhört, auch. Bei dieser Gelegenheit erwähne ich gern, dass ich keine so lustigen Autoren kenne wie Krimiautoren. Und liefere als Erklärung: Wir können all unsere Aggressionen auf Papier bannen – da sind sie gut aufgehoben und richten kein Unheil an.

Eine spezielle kulinarische Lesung möchte ich nicht unerwähnt lassen: Simmern im Hunsrück, Schlossbibliothek: Etwa 60 Zuhörer waren gekommen, organisiert hatte die Lesung die Lotto-Stiftung für ihre Kunst-Preisträger (ich hatte im Jahr 2007 einen hochdotierten 4.Preis bekommen). Im Anschluss an die Lesung  - bei der man tatsächlich die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können - richtete der örtliche Kochverein Culinarissimo ein sogenanntes „Flying Buffet“ aus. Gekocht wurde in den äußerst beengten Räumlichkeiten einer Teeküche. Aber das Ergebnis war spitzenmäßig. Die Akteure trugen Chefkoch-Schürzen und die Speisen wurden im Vorübergehen gereicht – winzige Häppchen auf Puppentellern, Süppchen in Tässchen – alles war wunderhübsch angerichtet und hätte jedem Spitzenkoch zur Ehre gereicht. Während des kulinarischen Genießens ergaben sich viele Möglichkeiten zu Gesprächen – und das ist mir besonders wichtig.

Auch Lesungen in Schulen bestreite ich gerne: Ich habe an Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien gelesen und fast immer die Erfahrung gemacht, dass die Schüler sehr interessiert sind und im Anschluss Fragen stellen. Besonders konstruktiv ist, wenn die Lehrer die Lesung vorbereitet haben und die Schüler einen Einblick bekamen, worum es geht – oder von ihrem Deutschlehrer angeregt wurden, ein eigenes erfundenes Ende für – meinen  - Krimi zu schreiben. So des öfteren geschehen bei meinem Roman „Apollofalter“, der einen großen Themenbereich hat, der auch für Lehrer aus anderen Fachrichtungen, wie Geographie oder Biologie, interessant ist.

Großen Erfolg hatte ich mit geführten Lesungen auf der Bundesgartenschau in Koblenz. Mein Krimi „Engelskraut“ wurde auf Anregung meines Verlegers anlässlich dieses Events geschrieben und erwies sich als Renner. Die BUGA-Organisatoren hatten das Projekt begrüßt und unterstützt. Ein eigens entwickeltes Lese-Programm wurde während der gesamten Dauer der BUGA in der Zeit von April bis Oktober 2011 durchgeführt. Ausgangspunkt jeder Lesung ist der „Mordschauplatz“, der Paradiesgarten neben der Kastor-Kirche. Besonders beliebt waren die „Tatort-Lesungen“, für die der - fiktive - Tatort mit einer Schaufensterpuppe als Leiche aufgebaut wurde und ein Koblenzer Kriminalkommissar erläuterte, wie die Kripo in dem geschilderten Fall vorgehen würde. Hier traf Fiktion die Wirklichkeit.

Gern lese ich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen. In früheren Zeiten trat ich mit Bettina Hoffmann-Günster und Susanne Beckenkamp als „KlasseFrauen“ auf (zuvor nannten wir uns „Freche Frauen“, damals war Ursula Klee noch mit von der Partie). Unser Motto lautete: „Mit spitzer Feder aufgespießt“. Das Publikum war jedes Mal überrascht und begeistert über unsere Literaturdarbietungen. Und die Presse lobte unsere Auftritte: „Die Zeit ging viel zu schnell vorbei. Das gut unterhaltene Publikum forderte noch einige Zugaben und bedankte sich mit reichlichem Applaus für den schönen, anregenden Abend“.

Mit den unterschiedlichsten Kollegen habe ich Gruppenlesungen veranstaltet, manchmal auch an ungewöhnlichen Orten. Auch moderiere ich gern Lesungen meiner VHS-Schreibruppe, die bereits etliche Einladungen erhielt. Eine große Variationsbreite unterschiedlichster Autoren kommt beim Publikum gut an.

Zur Zeit sind kriminelle Spaziergänge durch Andernach beliebt. Hier wird auf den Spuren Franca Mazzaris gewandelt. Bei diesen Lese-Spaziergängen besuchen die Gäste hauptsächlich anhand des Krimis "Gartenschläfer" Schauplätze, die im Buch näher beschrieben werden. 2019 werden weitere solcher Spaziergänge von der Andernacher Touristik angeboten, die jedes Mal ein bisschen anders sind. (Siehe Termine)

Es spielt keine Rolle, ob ich vor wenigen Zuhörern (z.B. bei einer individuellen Wohnzimmer-Lesung) oder vor einem großen Publikum auftrete. Lesen bringt einfach Spaß, diese Erfahrung mache ich immer wieder aufs Neue.

Zitiert wird aus: „Die Rheinpfalz“, Nr. 67 v. 20. März 1999 und aus „Blick akutell, Rengsdorf v. 30. Oktober 2008


Erstmals erschienen in: Monika Böss (Hrsg.) Inkas Lesetraum(a). Anthologie. Edition Schrittmacher im Rhein-Mosel-Verlag, 2011
Für diese Homepage wurde der Bericht im Jahr 2018 aktualisiert.

weitere Infos: Inkas Lesetraum(a)

32 Autoren sind in der Anthologie versammelt. Ihre Erzählungen ergeben eine eloquente Schnittmenge an Erfahrungen. Die Fülle an Episoden, in denen Ernsthaftigkeit und Komik ineinander übergehen, soll neben einer guten Portion Unterhaltung auch die Neugierde auf die nächste »Dichterlesung« wecken, dann wenn es wieder heißt: »Der Autor liest …«