Erich Kästner - ein deutscher Schriftsteller aus Dresden

"An all dem Unfug, der hierzulande und auch anderswo zustande kommt, sind nicht nur die Anstifter schuld, sondern auch diejenigen, die ihnen nicht widersprechen", sagt der "Nichtraucher" im Film "Das fliegende Klassenzimmer" (1954)

 Im Foyer des Kästner-Museums in Dresden

 

Fast jeder kennt ihn. Für viele ist er der liebenswerte Erzählonkel, der Verfasser von Kinderbüchern, wie "Pünktchen und Anton" oder "Emil und die Detektive". Seinen einzigen ernsthaften Roman "Fabian. Geschichte eines Moralisten" haben wir in den 70er Jahren am Abendgymnasium im Deutschunterricht durchgenommen. Und die "Sachliche Romanze" ist noch heute eines meiner Lieblingsgedichte.

Nun wandele ich zusammen mit meinen erwachsenen Kindern, denen ich diesen Autor schon in frühen Jahren nahebrachte, auf dessen Spuren in Dresden. Über sein Dresden hat Kästner geschrieben: „Wenn es zutreffen sollte, dass ich nicht nur weiß, was schlimm und hässlich, sondern auch, was schön ist, verdanke ich diese Gabe dem Glück, in Dresden aufgewachsen zu sein. Ich musste, was schön sei, nicht erst aus Büchern lernen. Nicht in der Schule, und nicht auf der Universität. Ich durfte die Schönheit einatmen wie Försterkinder die Waldluft.“

Es ist Spätsommer und das sogenannte Elb-Florenz hat einiges zu bieten.

Wir wohnen in einem Hotel in der Dresdner Neustadt, von wo aus wir gut Kästners Wege erkunden können. Die Königsbrücker Straße gehört zum "Kästner-Revier", ebenso wie der nahe Albertplatz. Im Haus Nr. 48, wo die Familie bis 1911 lebte, ist Kästner aufgewachsen. Dort im Erdgeschoss befindet sich heute ein Bistro, davor steht ein Denkmal ihm zu Ehren: Aufgeschichtete Bücher, gekrönt von einem Hut.

Erich-Kästner-Denkmal

Wenige Häuser weiter, in der Königsbrücker Straße Nr. 66, befindet sich sein Geburtshaus. Eine Tafel weist darauf hin: "Der Schriftsteller ERICH KÄSTNER (1899-1974) wurde hier geboren."

Kästners Eltern waren arm, das Geld reichte gerade so zum Leben. Die Mutter, ein Dienstmädchen, nähte in Heimarbeit, der Vater war Sattlermeister. Als Erich 12 Jahre alt war, zog die Familie innerhalb derselben Straße um, in die Nr. 38 und später noch einmal in die Nr. 48. Weil die Mutter ihrem Sohn ein Lehrerstudium finanzieren wollte, erlernte sie im Alter von 35 Jahren den Beruf der Friseuse und errichtete in ihrem Schlafzimmer eine Frisierstube.
Alle drei Häuser sind erhalten.

Ganz in der Nähe, in der Albertstr. 1, befindet sich das ehemalige Wohnhaus von Kästners Onkels Franz Augustin, einem wohlhabenden Bruder der Mutter, eine Villa mit Wintergarten mit großem Grundstück. Eine Büste an der Gartenmauer erinnert daran, dass der kleine Erich hier, wo er eine etwas andere Welt kennenlernte, oft im Garten spielte. Der hautnah erfahrene Kontrast zwischen Arm und Reich ist in Kästners Büchern ein viel bearbeitetes Thema, seine Kusine Dora wird zum Vorbild etlicher weiblicher Figuren.

In dieser Villa wurde das heutige Kästner-Museum errichtet - ein etwas anderes Museum, das sich "Mikromuseum" nennt und sich als "Kulturelles Pilotprojekt" versteht: "Korrespondierend mit der Bausteinstruktur der Museumsarchitektur wird nicht ein vorgefertigtes Bild Erich Kästners, sondern es werden verschiedene Facetten von Leben und Werk vermittelt." Rund um eine Säule - das Herzstück - sind verschieden farbige Schubladen angeordnet. Darin befinden sich zahlreiche Hinweise und Zitate aus seinem Leben und seinen Büchern.

Im oberen Stockwerk ist ein Café - ein Begegnungsort. Auch kann man dort viele seiner Bücher käuflich erwerben. Wir gehen durch die Räume, öffnen Schubladen, lesen Zitate. Und erobern uns ein wenig die komplexe Kästner-Welt.

Getauft wurde Erich Kästner in der Dreikönigskirche am 9. April 1899, dem Geburtstag seiner Mutter Ida, und im Jahr 1913 wurde er hier konfirmiert. An der barocken Kirche, die im zweiten Weltkrieg völlig ausbrannte und in den 1970er Jahren wieder aufgebaut wurde, sind wir schon öfter vorbei gelaufen.

Für Kästners Mutter Ida stand von Anfang an fest: Ihr Sohn soll Lehrer werden. Auch er hegte lange den Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen. Bis er erkannte: "Ich wollte nicht lehren, sondern lernen. Ich hatte Lehrer werden wollen, um möglichst lange ein Schüler bleiben zu können. Ich wollte Neues, immer wieder Neues aufnehmen und um keinen Preis Altes, immer wieder Altes weitergeben ... Ich war ungeduldig und unruhig, ich war kein künftiger Erzieher. Denn Lehrer und Erzieher müssen ruhig und geduldig sein."

1906 wurde er in der IV. Bürgerschule in der Tieckstraße eingeschult. Er war ein sehr guter Schüler und erreichte - eine Ausnahme im wilhelminischen Kaiserreich - als Sohn armer Eltern die Aufnahme in das Lehrerseminar seiner Geburtsstadt, dem Freiherrlich von Fletscher'schen Lehrerseminar. Viele seiner dortigen Erlebnisse hat er im Buch "Das fliegende Klassenzimmer" geschildert, das im Jahr 1933 erschien und einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg erstmals verfilmt wurde. Inzwischen gibt es drei Film-Versionen. Zu Hause sehe ich mir die erste Verfilmung aus dem Jahr 1954 noch einmal an, der ein Jahr nach meiner Geburt entstand. Darin tritt Kästner selbst als Autor auf, der im Sommer eine Wintergeschichte schreiben soll.  

1917 wurde Kästner zum Militär einberufen, doch schon bald wurde er wegen eines Herzfehlers entlassen. Seine Erfahrungen beim Fronteinsatz machten aus dem zunächst eher unpolitischen Kästner einen überzeugten Anti-Militaristen.

Zwei Jahre später legte er sein "Kriegsreifezeugnis" am König-Georg-Gymnasium mit Auszeichnung ab und erhielt das Goldene Stipendium der Stadt Dresden. In den 1920er Jahren ging er nach Berlin und wurde dort zu einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. "Herz auf Taille" hieß sein erster Gedichtband.

Als Berliner Studenten am 10. Mai 1933 "undeutsche Literatur" mitten auf dem Berliner Opernplatz gegenüber der Universität verbrannten - darunter auch den "Fabian" und die Gedichte, stand er dabei und sah sein Werk in Flammen aufgehen.

"Ich (...) sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die (...) hin und her schwankte. Es war widerlich."

1957 schrieb er seine Kindheitserinnerungen nieder, die mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges enden. "Als ich ein kleiner Junge war" ist mit den Augen eines Erwachsenen und mit dem Herzen eines Kindes verfasst. Zu dieser Zeit ist von Dresden, wie er es erlebt hat, nicht mehr viel übrig, denn eine der schönsten deutschen Städte war in einer Nacht durch verheerende Bombenangriffe zerstört worden.

"Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns. Besonders dann, wenn wir mit ihnen Geduld haben“, heißt es in seinem Nachwort.

Seiner Heimatstadt Dresden hat er in seinen vielen Büchern ein Denkmal gesetzt. Auch heute haben seine Geschichten und Gedichte nichts von ihrem Zauber verloren. Mit tiefem Verständnis erzählen sie von menschlichen Schwächen und Stärken, von Freundschaften und Herausforderungen und von einem Leben voller Überraschungen - nicht selten äußerst augenzwinkernd.

Im Zwinger

Auch künftige Generationen werden Kästner lesen und lieben - das wünsche ich mir. Seine Kinderbücher geben Geborgenheit, ohne oberflächlich zu sein, und am Ende wird alles gut. Der "Fabian" jedoch geht nicht gut aus: Als er sieht, wie ein kleiner Junge von einer Brücke fällt, springt er hinterher, um ihn zu retten. Doch während der Junge ans Ufer schwimmt, ertrinkt Fabian, weil er nicht schwimmen kann ...

Die letzten Jahre vor seinem Tod 1974 verbrachte Kästner zurückgezogen - wie seine Figur "der Nichtraucher" in "Das fliegende Klassenzimmer". Der sagt zu seinem Freund, dem Lehrer: "Ich wünschte, es gäbe mehr Menschen, die sich daran erinnerten, was wesentlich ist." Zeit seines Lebens hoffte Kästner darauf, dass die Menschen besser und anständiger werden. Geben wir diese Hoffnung nicht auf.

 "Fantasie ist eine wunderbare Eigenschaft, aber man muss sie im Zaum halten" - auch das eine Kästner-Weisheit.